Oliver Wälde: Verflucht und zugenäht

Ich kann nicht noch mehr Geld aus der Firmenkasse entwenden, Josè hat mich schon das zweite Mal gewarnt! Sein Sohn, Miguel, wird mir den Kopf abreißen und mich persönlich den Löwen zum Fraß vorwerfen – dieses Schwein! Sein Vater ist in Ordnung, aber Miguel? Dieser kleine … ich will doch nur spielen, noch ein Spiel, und alle Probleme würden sich in Luft auflösen. Was sind schon 300.000.00 Euro, verflucht noch mal! Doch anstatt mir eine letzte Chance zu geben, schicken sie Schläger hinter mir her. Ich muss eine Lösung für mein Problem finden, ich muss einfach. Friedrich blickte hoch und sah gehetzt hinter dem Steinhaufen hervor.
Er befand sich in einem Steinbruch nahe der Firma ART® Textilien GmbH und tigerte in seinem dreckigen Morgenmantel auf und ab. Passend dazu fuchtelte er mit seinen Händen umher und verwarf seine Gedanken mehrmals hintereinander. Wenn die mich hier finden, werden sie mich umnieten! Tonis Schlägertrupps sind berüchtigt dafür, vor nichts zurückzuschrecken. Ich bräuchte doch nur ein Spiel! Ein einziges, von Gott berührtes Spiel, verflucht! Ich bin Geschichte, die werden mich heute Nacht killen, die Wichser, diese … Gibt es denn keine Möglichkeit, diese Schläger zu bezahlen – ein Spiel, oh was täte ich nur für ein Spiel! Da hörte er ein Geräusch und schreckte hinter dem Steinhaufen hoch und blickte sich mit hektischen Bewegungen um, entdeckte aber niemanden. Scheiße, Scheiße … wie komme ich nur aus dieser Lage heraus … ich muss mir eine Lösung einfallen lassen, ich muss einfach!
Vor seinem geistigen Auge wurde noch einmal die vorangegangene Szene abgespielt – einzig der Ton fehlte, und das empfand Friedrich schon als zu viel! Er saß gemütlich in der Stube und holte sich die Zahlen des nächsten Pferderennens – suchte sich den geeignetsten Gaul aus, um auf ihn zu setzen – um zu spielen! Da klingelte es, er wusste das, weil sich das Ganze erst vor knapp einer Stunde zugetragen hatte.
Er öffnete, in Gedanken bei den Pferden, die Haustür – und da standen sie, die übergroßen Schläger von Toni. Sie grinsten dreckig, packten ihn unsanft und stießen ihn in die Wohnung zurück. Anschließend fragten sie ihn einige Male nach den 300.000.00 Euro. Als er ihnen eine faule Story nach der anderen auftischte, warfen sie den Guten kurzerhand aus dem Fenster.
Friedrich schüttelte den Kopf und glotzte abermals kurz hinter dem Steinhaufen hervor. Ich werde in die Firma gehen und mir das nötige Geld dort ausleihen. Eine andere Stimme wandte leise flüsternd ein: Du kannst nicht schon wieder die Kasse leeren. Josè hat dich schon zweimal gewarnt! Er kniff seine Augen zusammen und wischte sich das Nass von Gesicht. Ja, das hat er wohl, mein alter Schulfreund. Trotzdem, scheiß drauf! Schließlich wurde ich von drei Schlägern aus meinem Schlafzimmerfenster geworfen – dumm für sie, dass es nur der erste Stock war. Idioten – ihr wollt Geld, dann nehmt es doch, ihr verfluchten Idioten. Wenn diese Blödmänner mich erwischen, machen sie aus meinem alten Körper Hackfleisch. Diese verfluchten Analphabeten, diese…
In diesem Moment glaubte er, ein Geräusch wahrgenommen zu haben und schreckte erneut hoch. Reckte seinen Hals und überblickte den Steinhaufen nach allen Seiten – nichts! In der Firma befinden sich um diese Zeit mehrere Nachtwachen. Wie willst du sie überlisten, Fried? fragte eine Stimme aus der Tiefe seines psychischen Sumpfes. Ich … ich weiß es nicht, ich – was soll ich dann tun, hä?
Wieder tigerte er hinter dem Steinhaufen hin und her. Dabei duckte er sich alle paar Augenblicke, als würde ihm immerzu entfallen, dass er sich vor Schlägern in Acht neben musste. “Verdammt … ich!”, er fuhr sich hypernervös mit beiden Händen durchs schüttere Haar. In diesem Augenblick begann es überflüssigerweise auch noch zu regnen. “Scheiße, verfluchte, steht nicht einmal mehr Gott auf meiner Seite?”
Tränen vermischten sich mit dem Regen. Wie konnte ich nur so unachtsam sein … so blind? Er schlug seine flachen Hände vors Gesicht. Ich habe keine andere Wahl, als in die Firma zu gehen und den Nachttresor zu erleichtern! Ich, ich werde es Josè schon irgendwie erklären! Und die Nachtwachen – egal, ich bin der Chef der Buchhaltung, und Josè wird es auch ohne ihr Dazutun erfahren! Also, was ich auch versuche – ich habe die Arschkarte gezogen. Nun geht es darum, den Schadensfall in Grenzen zu halten. Oder? Oder etwa nicht?
“Oh, weh mir, was tue ich nur! Verdammt noch mal, wie komme ich aus dieser Sache nur wieder heil raus, wie, wie, wie, verflucht!”, jammerte er, während er mit der linken Hand durch sein schütteres, inzwischen feuchtes Haar fuhr. Dazu ging er zitternd in die Knie. Friedrich fror und hatte Angst! Ich könnte die Polizei einschalten, die müssen mich dann beschützen, nicht? Ich erzähle ihnen nur das, was für sie von Wichtigkeit ist, mehr nicht! Vielleicht tue ich denen damit ja einen Gefallen und, und …
Wieder ein Knacken, und er schoss aus der Hocke hoch und drehte seinen Kopf.
Und da kamen sie, die drei Schläger von Toni. Sie stapften durch den Regen auf ihn zu und grinsten ihn diabolisch an.
Was tue ich jetzt … ich muss wegrennen, mir einen Stock suchen, um mich zu wehren! Ich … oh, in was bin ich da nur hereingeraten!!! Lieber Gott, ich, ich … mach alles, was du willst! Ich tu’s ganz bestimmt, ich versprech’s dir hoch und heilig! Er schloss seine Augen. “Bitte lieber Gott hilf mir doch in meiner elenden Not …! Bitte, ich tue auch alles, was du von mir verlangst!”, wisperte er vor sich hin, als seine Ohren auch schon einen heransurrenden Gegenstand wahrnahmen.
Dann wurde es schwarz um Friedrich Brül.

(Auszug aus dem Roman von Oliver Wälde, Bülach – Schweiz)

 


 

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