Brienna de Montfort: Der Töpferlehrling

Es war einmal vor langer Zeit in einem Land jenseits der Berge, wo tiefe Wälder noch Schutz boten und Fremde selten ihr Glück suchten. In einem sonnendurchfluteten Tal, an einem munter plätschernden Bach, da stand das bescheidene Haus eines alten Töpfers, der, mit sich und der Welt im Einklang, die wunderschönsten Dinge aus Ton formte, die man sich nur vorstellen konnte. Ein jedes Werk war verschieden, einzigartig in seiner Art.

Wenn man ihn fragte, warum dies so wäre, so antwortete er mit einem versöhnlichen Lächeln, dass Gott ja auch jedem Ding seine Einzigartigkeit gegeben hätte, wenn man denn genau hinsehen wollte, sprach’s und ging seinem Tagwerk voller Hingabe weiter nach.
So sehr der Meister zufrieden und glücklich mit diesem Leben war, so unzufrieden und unglücklich war sein Lehrling.
Noch jung an Jahren, wenig von der Welt gesehen und Rastlosigkeit im Herzen, kämpfte er Tag für Tag mit den Dämonen der Unzufriedenheit, die sein Herz zerfraßen.
So oft der Meister auch mit Liebe und Geduld versuchte, ihm das Handwerk zu erlernen, so wurde er ein jedes Mal bitter enttäuscht, denn das, was sein Lehrling unter seinen Händen zu formen im Stande war, ließ tief in seine gepeinigte Seele blicken und verhieß nichts Gutes.
Der alte Meister seufzte schwer, erkannte er doch das Spiegelbild seiner selbst vor ach so vielen Jahren in den Zügen seines Schützlings wieder.
Da er um dessen Zerrissenheit wusste, um den Kampf, der in ihm tobte, beschloss er, ihm zu helfen.

Am folgenden Morgen, der Tau benetzte noch den Waldesgrund, da schickte er den Lehrling tief in den Wald hinein, er solle zwölf Ruten dreier verschiedener Hölzer suchen, um eine besondere Glasur für die Töpferware brennen zu können.
Ein Murren auf den Lippen und mit düsterem Blick machte sich der Jüngling auf, dem Meister, wenn auch widerwillig, zu gehorchen.
Schon nach kurzer Zeit fand er das Erste der drei verschiedenen Hölzer und schnitt vier Ruten davon zurecht. Auch für die zweite Art brauchte er nicht lang, und seine Miene hellte sich zusehend auf ob seines vermeintlich schnell erledigten Tagwerks, als er die zweiten vier Ruten sein Eigen nennen konnte. Die Zeit verging, und die Sonne stand bereits hoch am Himmel, doch das dritte geforderte Holz wollte sich beim bestem Willen nicht finden lassen.
Die Miene des Lehrlings verfinsterte sich wieder, wie so oft, wenn die Unzufriedenheit sich seiner bemächtigte, denn er wollte auf gar keinen Fall ohne die geforderten Ruten nach Hause kommen.
Er hasste das Gefühl tief in ihm, das ihm einreden wollte, versagt zu haben, nicht gut genug zu sein, seinem alten Meister niemals im Leben “das Wasser reichen zu können”. So stolperte er zornig weiter in den Wald hinein, düstere Gedanken vor sich hin brütend.
Es war bereits später Nachmittag, er hatte noch immer nichts gefunden und wollte gerade die enttäuschten jugendlichen Segel streichen, da vernahm er ein leises Rufen.
“Angus … Angus …” 
Er blickte erschrocken suchend um sich, konnte aber niemanden entdecken.
“Angus … Angus …”
Seit seiner Eltern frühen Tod vor ach so vielen Jahren hatte er nicht mehr seinen Vornamen gehört, nannte der alte Töpfermeister ihn doch zumeist “Kleiner” oder “Junge”. Wer konnte ihn da nur rufen, seinen Namen kennend?
Er drehte sich im Kreis, bis es ihm fast schwindlig wurde. Da sah er ihn.
Der Busch des dritten Holzes wuchs nicht weit von ihm am Rand der Lichtung, in deren Mitte er in den letzten Strahlen der Nachmittagssonne verweilte.
Etwas merkwürdig erschien er ihm, denn obschon ein einziger Busch waren die Farben seiner Ruten zweigeteilt. Die eine Hälfte war etwas dunkler als die andere, doch zusammen ergaben sie eine wundersame Einheit. So nahm er flugs sein Schneidemesser zur Hand, wollte er doch endlich sein Tagwerk vollbringen, da hörte er wieder diese seltsam, ihm irgendwie wohl vertraute Stimme, die aus dem Busch zu kommen schien.
“Angus … Angus … mein guter Junge … Was grämst du dich so sehr? Hast du nicht ein gutes Leben? Einen guten Meister, Hände Arbeit, genügend Essen und ein weiches Lager in der Nacht? Warum bist du so zornig und dein Herz so zerrissen? Höre, was ich dir mit auf den Weg geben will:

Wenn du nicht Kiefer sein kannst auf dem Hügel,
sei ein Busch im Tal –
aber sei der schönste kleine Busch am Ufer des Baches.
Sei ein Busch, wenn du kein Baum sein kannst.
Wenn du kein Busch sein kannst, sei ein Büschel Gras
und steh heiter am Wegesrand.

Wenn du kein Hecht sein kannst,
sei einfach ein Barsch,
aber der munterste Barsch im See.

Nicht nur Kapitän,
auch Mannschaft muss sein,
für alle von uns ist Platz.
Viel Arbeit ist zu tun und wenig,
doch die Pflichten, die wir haben, sind gleich.

Wenn du keine Straße sein kannst,
sei nur ein Pfad.
Wenn du die Sonne nicht sein kannst,
so sei ein Stern in der Nacht.

Es ist nicht die Größe,
nach der du siegst oder fällst.
Sei das Beste,
was immer du bist!

Spät am Abend, die Sonne war schon lange untergegangen, und die Sterne leuchteten hell am Himmel, so hell, dass er ohne Mühe seinen Weg finden konnte, da kehrte der Lehrling frohen Herzens mit federleicht geschulterten Ruten, zwölf an der Zahl, vier von jeder Art, nach Hause zurück.
Schon aus der Ferne hatte der alte Töpfer sein munteres Pfeifen vernommen. Mutter Natur hat wohl wieder ihr gutes Werk getan, dachte der Alte wissend um das Geheimnis des Waldes, und ein zufriedenes Lächeln erhellte auch seine wettergegerbten Züge.

Und wenn … ja, wenn eure Neugierde geweckt und eure Herzen bereit sind, ja dann …
Dann erzähle ich euch, was der Töpferlehrling aus seinem Erlebnis im Wald und aus seinem Leben gemacht hat.
Aber dies ist eine neue Geschichte …

(Erzählung von Brienna de Montfort, Bogen)

 


 

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