C. S.: Der Sommer unseres Lebens

“Es ist der Sommer unseres Lebens”, tönte es lautstark aus dem Autoradio, als wir uns vor ein paar Wochen nachts um zwei Uhr auf dem Weg zum Nürnberger Flughafen befanden. Guter Laune und voller Vorfreude auf den bevorstehenden Spanien-Urlaub grölten meine Schwester und ich zu Sebastian Hämers Sommerhit mit und blickten erwartungsvoll zwei Wochen voller Sonne, Strand und Meer entgegen. Es faszinierte mich immer wieder aufs Neue, mich in ein Flugzeug zu setzen und einige Zeit später ein völlig fremdes Land zu entdecken und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur eigenen Lebensweise und Kultur festzustellen.

Nachdem einige Zeit später das Flugzeugprozedere hinter uns lag, kamen wir etwas übermüdet, aber immer noch bester Laune auf dem Flughafen von Malaga an. Dort wurden wir sogleich von einem freundlich dreinblickenden Spanier begrüßt, der uns durch ein Schild mit unserem Namen zu verstehen gab, dass er auf uns wartete. Da es mit seinen Englisch-Kenntnissen nicht weit her war und meine Schwester und ich nur wenige Brocken Spanisch beherrschten, folgten wir dem Spanier schweigend zu seinem kleinen Taxi, welches er vor dem Flughafen geparkt hatte.
Wir befanden uns nur wenige Minuten auf der Fahrt, als plötzlich eine männliche Stimme aus der Funkanlage des Autos uns auf Deutsch begrüßte. Meine Schwester und ich schauten uns verdutzt und fragend an. Doch ehe wir noch darüber nachdenken konnten, was der ominöse Anrufer wohl von uns wollte, hatte dieser uns die bevorstehende Hiobsbotschaft bereits verkündet: “Ich bin der Direktor Ihres Hotels. Leider sind wir überbucht worden. Wir bedauern dies sehr und werden Sie nun in ein anderes Hotel mit freien Zimmern fahren.” Noch ehe meine Schwester oder ich auch nur ein Wort erwidern konnten, hatte der spanische Hoteldirektor bereits aufgelegt.

Na super! Das fing ja schon mal gut an, dachte ich bei mir, und auch meine Schwester machte nun kein allzu glückliches Gesicht mehr. Als wir kurz nach acht morgens dann an unserem neuen Domizil ankamen, waren wir so müde, dass es uns im ersten Moment gar nicht weiter interessierte, wo wir nun die nächsten 14 Tage verbringen würden. Doch auch aus unserem ersehnten Schlaf sollte erst einmal nichts werden.
Die Rezeptionsdame, die glücklicherweise etwas Deutsch sprach, erklärte uns mürrisch, dass wir unser Zimmer frühestens gegen Mittag beziehen könnten.
Also beschlossen meine Schwester und ich, den Strand aufzusuchen, um vielleicht dort das eine oder andere Stündchen Schlaf nachzuholen. Zunächst schien der Plan aufzugehen. Wir ließen unser Gepäck im Hotel und nahmen lediglich eine Badetasche mit an den Strand, der nur wenige Minuten vom Hotel entfernt sein sollte. Nach einer knappen Stunde hatten wir den Strand dann tatsächlich erreicht und entdeckten auch gleich zwei freie Liegestühle. Ohne weiter nachzudenken, schnappten wir uns die beiden Liegen und schliefen kurz darauf auch schon ein. Vermutlich hätten wir den ganzen Mittag dort geschlafen, wenn mich nicht auf einmal ein junger Spanier wachgerüttelt hätte.
Noch völlig verschlafen und verständnislos blickte ich ihn an. Wild gestikulierend versuchte er, mir etwas auf Spanisch mitzuteilen, doch erst nach einiger Zeit begriff ich, was der Gute eigentlich von mir wollte. Die Liegestühle musste man vor Benutzung bezahlen, wie er mir erklärte, indem er auf ein kleines rotes Schild deutete, welches ich zuvor völlig übersehen hatte. Leider stand die Botschaft auch auf Englisch auf dem Schild, sodass ich mich nicht mit Unwissenheit aus der Affäre ziehen konnte. Der Spanier deutete mir mit seinen Fingern an, dass der Preis für einen Liegestuhl acht Euro betrug.
Das sollte wohl ein Witz sein, dachte ich mir und weckte nun auch meine Schwester. Ich erklärte ihr die Situation und fragte sie nach Geld, doch wie hätte es anders sein sollen: Wir hatten auch unsere Geldbeutel im Hotel gelassen. Ich kramte verzweifelt in meiner Badetasche und fand immerhin 2 Euro, die ich dem Spanier reichte.
Dieser schien damit alles andere als zufrieden zu sein und schaute mich und meine Schwester nun finster an. Mit einer Mischung aus Englisch und den wenigen spanischen Vokabeln, die mein Wortschatz besaß, versuchte ich, dem Spanier unser Problem zu erklären. Dabei setzte ich all meinen Charme ein und bemühte mich, ihn mit einem umwerfenden Augenaufschlag zu besänftigen. Doch hier war ich bei ihm anscheinend an der falschen Adresse.
Da er mich nicht verstand, fühlte er sich von meinem Augengezwinker und meinem freundlichen Lachen wohl eher veralbert und starrte mich nun zunehmend böse an.
Inzwischen war auch ich mit meinem Latein am Ende und sah meine Schwester hilflos an.
Diese hatte dann die rettende Idee. Sie wollte zurück zum Hotel gehen und Geld holen. Solange sollte ich sozusagen als Pfand am Strand bleiben und warten, bis sie zurückkam.
Gesagt, getan: Meine Schwester machte sich also auf den Rückweg zu unserem angeblich nur “wenige Minuten” entfernten Hotel, während ich dem immer wütender werdenden Spanier erneut unser Problem schilderte.
Sogar als meine Schwester dann nach zwei Stunden endlich mit dem Geld ankam und unsere Schulden beglich, schien sich der junge Spanier noch immer veräppelt zu fühlen und verlangte einen Aufpreis.
Da wir uns keinen weiteren Ärger einhandeln wollten, zahlten wir ohne Widerrede und machten uns dann gemeinsam auf den Rückweg.

Im Hotel angekommen, durften wir dann auch endlich unser Zimmer begutachten, das glücklicherweise einen positiven Eindruck auf uns machte.
Aber als ich dann im Bad in den Spiegel schaute, kam der nächste Schock. Mein Aussehen glich einer Feuertomate, denn natürlich hatte ich bei unserem kleinen Strandabenteuer die Sonnencreme vergessen, was sich nun als schwerwiegender Fehler erwies. Meine Haut sah regelrecht verbrannt aus, und meine Schwester, die Ärztin ist, verordnete mir sofort kalte Wickel und ein Sonnenverbot für die nächsten Tage.
Schlimmer kann es ja kaum mehr kommen, war ich mir sicher, doch da hatte ich mich gewaltig getäuscht.

Meine Schwester versuchte, mich mit allen Regeln der Kunst aufzumuntern und überredete mich nach dem Abendessen einen kurzen Rundgang durch die Umgebung zu machen. Wir liefen an vielen kleinen Boutiquen vorbei und beschlossen, gleich am nächsten Tag eine Shopping-Tour zu unternehmen. Das hob auch sogleich meine Laune, und ich blickte den kommenden Tagen nun wieder mit etwas mehr Begeisterung entgegen.
Als es langsam dämmerte, setzten wir uns in eine Bar, die direkt am Meer gelegen war und bestellten zwei Cocktails, um auf die nächsten Urlaubstage anzustoßen. Nach dem dritten Cocktail fühlte ich mich recht angeheitert und bereit, über den misslungenen Urlaubsstart hinwegzusehen. Wir genossen die schöne Aussicht und erzählten uns lustige Geschichten aus unserer Kindheit. Kurz nach Mitternacht fing meine Schwester an, zu gähnen, und auch ich war müde von den Erlebnissen des Tages. Wir riefen nach dem Ober, um die Rechnung zu begleichen.
Doch noch ehe der Ober die Rechnung brachte, wurde mir schlagartig bewusst, dass es tatsächlich noch schlimmer kommen konnte. Als ich mich nämlich umdrehte, um meine Tasche zu nehmen, die ich an die Lehne meines Stuhles gehängt hatte, griff ich ins Leere. Erschrocken sprang ich auf und schaute mich verzweifelt suchend nach meiner Tasche um, doch weit und breit keine Spur von ihr. Die Tatsache, dass sowohl meine Schwester als auch ich etwas über unseren Durst getrunken hatten, vereinfachte die Situation in diesem Moment natürlich nicht. Betrunken wie ich war, bot ich den übrigen Gästen wohl einen recht komischen Anblick, wie ich da schwankend im Lokal auf und ab lief und unter jedem Tisch nach meiner Tasche suchte. Doch was die anderen Gäste von mir dachten, kümmerte mich in diesem Augenblick nicht weiter. Schnell wurde mir klar, dass ich meine Sachen wohl nie wieder sehen würde, aber es war jetzt wichtiger, meine Karten und mein Handy sofort sperren zu lassen.
Meine Schwester zahlte die völlig überteuerte Cocktailrechnung und gemeinsam rannten wir zurück zu unserem Hotel. Ich erzählte der Rezeptionsdame von dem Diebstahl und bat sie um Hilfe. Sie machte zwar keinen allzu mitfühlenden Eindruck, aber immerhin half sie mir bereitwillig, die Telefonnummern herauszufinden, die ich für die Kartensperrungen benötigte.
Für mich war der Tag nun endgültig gelaufen, und ich hätte am liebsten sofort die Rückreise angetreten.

Doch glücklicherweise gelang es meiner Schwester, mich innerhalb der nächsten Tage wieder aufzumuntern, sodass es trotz allem noch ein sehr schöner Urlaub wurde. Mein Sonnenbrand war nach wenigen Tagen abgeklungen, und so konnte ich dann doch noch einige schöne Strandtage genießen, diesmal jedoch mit reichlich Sonnencreme. Mein Geld und mein Handy habe ich wie erwartet nie wieder gesehen, aber es hätte alles ja noch viel, viel schlimmer kommen können.

(Reisebericht von C. S.)

 


 

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